Was ist eine Tendinopathie und welche psychologischen Auswirkungen hat sie auf den Patienten?
Eine Tendinopathie liegt vor, wenn die Sehnenstruktur sich chronisch verändert. Tendinopathie ist oft behindernd, schmerzhaft und anhaltend und beschreibt ein Spektrum von Veränderungen in geschädigten Sehnen, die Schmerzen (bezogen auf die Aktivität) und Funktionseinschränkungen (aufgrund mechanischer Belastung) verursachen.
Es gibt zwar viele therapeutische Systeme zur Behandlung von Tendinopathien, allerdings bleibt die nachhaltigste Lösung weiterhin Bewegungs- und Belastungsprogramme wie spezifisches Training. In vielen Fällen bleibt volle Belastbarkeit bis zu 12 Monate unerreichbar, was wiederum zu starken psychologischen Folgen führt. Somit kommen wir zu einem unterschätzten Faktor bei Verletzungen und Schmerzen: der Biopsychosoziale Aspekt.
In der Studie von Edgar N. Clifford C und O'Neil S. et al. Biopsychosocial approach to tendinopathy. BMJ Open Sport & Exercise Medicine (2022) sieht man die psychologischen Auswirkungen der Tendinopathien bei Sportlern wie von z.B. Ausfall und Einsatzrückgang im Wettkampf bis hin zu komplettem Ausfall beim Mannschaftstraining. Die psychologische Auswirkung behinderte sogar die optimale Reha. In die Behinderung der Rehabilitation fließen psychosoziale Komponente wie Angst und Selbstwirksamkeit, die wiederum einen starken Einfluss auf die Reha der muskuloskelettalen Medizin haben.
Tendinopathien, Spitzensport und das Problem mit den Daten
Bei Fußball zeigen Daten und Statistiken keine besonderen Probleme mit Tendinopathien. Man weiß zwar das Achilles-Tendinopathien häufiger sind als Patella-Tendinopathien, aber das Problem mit den Statistiken im Fußball: man zeichnet Probleme nur dann auf, wenn ein Spieler dadurch nicht spielen oder am Training teilnehmen kann.
Im Profisport wie Fußball ist Datenmanagement äußerst wichtig. Durch penible Beobachtung werden Probleme sehr früh erkannt und bewertet, sodass sie mit einer hohen Geschwindigkeit unter Kontrolle gebracht werden können. Was Forscher allerdings aus epidemiologischen Studien finden können ist, dass viele Spieler trotz chronischer Schmerzen weiterspielen, allerdings keine 100% Performance bringen. Somit manipuliert es die Aussagekraft der Tendinopathie-Statistik beim Profisport, da durch den konstanten Einsatz der Spieler, die Verletzung nicht relevant in die Daten fließt. Im Amateursport ist es anders. Da findet man häufiger chronische Tendinopathien, die zur Einstellung des Sports führen und Spieler komplett von der Bahn holen.
Angst, Unruhe und Depressionen in der Reha
Angst und Depression beeinflussen die Wundheilung, Rehabilitation, das Schmerz- und Behinderungsniveau. Die Rehabilitation wird negativ beeinflusst, was zu chronischen Umständen führt. Die individuelle Wahrnehmung der Genesungsfähigkeit wird verzerrt. Das nennen die Forscher Selbstwirksamkeit. Eine hohe Selbstwirksamkeit steht im Zusammenhang mit geringeren Schmerzen und Behinderungen und allgemein mit einer besseren körperlichen Funktionsfähigkeit.
Die individuelle Beziehung zu Angst wirkt sich ebenfalls nachweislich auf die Reha aus. Die chronische Nichtbenutzung und Vermeidung der körperlichen Aktivität führt zu Kinesiophobie (Angst sich zu bewegen) und in einen schädlichen Kreislauf der Chronifizierung.
Kinesiophobie: Ich kann nicht in die tiefe Kniebeuge, weil ich kaputte Knie habe und vor 7 Jahren operiert und seitdem nichts besser wurde.
Die Mediziner und die Herausforderung "die Psychologie des Patienten"
Schmerz darf nicht von Behandelnden wie Ärzte & Therapeuten unmittelbar als positiv oder negativ etikettiert werden.
Das Schmerzempfinden wird durch biologische, psychologische und soziale Faktoren unterschiedlich wahrgenommen und durch Betroffene eingestuft.
Schmerz muss nicht schlecht sein. Nichtschmerz muss nicht positiv sein.
Ein banales Beispiel zu biologischen Verzerrung der Schmerzempfindung durch Manipulation der Rezeptoren ist z.B. der Konsum von Drogen wie Alkohol oder Kokain, welche bei einer offensichtlichen schweren Verletzung gemeinsam mit Adrenalin das Schmerzempfinden stark manipulieren, sodass der Betroffene quasi durch Euphorisierung den Schmerz nicht wahrnimmt.
Das medizinische Team der Association for Study of Pain (AISP) sieht es von großer Bedeutung bei Tendinopathien auf die genannten Faktoren einzugehen, um den möglichen Einfluss dieser aufzuklären. Patienten müssen nämlich verstehen, dass auch Schmerz während der Reha (Heilungs- und Aufbauphase) akzeptabel sein muss. Mit einem guten Coaching, insbesondere auf der emotionalen Ebene kann man somit dem Patienten mehr Bewusstsein über Schmerz- und Trauma antrainieren. Dadurch steigert sich nachweislich die Selbstwirksamkeit.
Kommunikation , emotionale Ebene und Vertrauen
Warum hierbei Coaches und Therapeuten erfolgreicher sein können? Es ist unumstritten, dass man mit seinem Coach oder Therapeuten eine enge und vertrauenswürdige Beziehung führt, sich frequentiert in Kommunikation befindet und einen sensibleren Zugang zu ihm hat. Wogegen man beim Arzt eher distanzierter ist und nicht dreimal wöchentlich mit diesem kommuniziert, geschweige denn sich mit ihm trifft. Um Barrieren zu überwinden muss die emotionale Ebene weitgehend hürdenlos sein und das Grundvertrauen stimmen.
Empowering
Ziel einer guten und nachhaltigen Patientenaufklärung sollte immer sein, dem Patienten in die Lage zu versetzen, seine Erkrankung weitgehend selbst zu managen und nicht 100% der Verantwortung auf Ärzte, Therapeuten und andere Experts zu transportieren.
Heftiger Fakt aus Daten ist, dass mehr als 50% der Betroffenen bei Tendinopathien die Behandlung abbrechen, was die Chronifizierung des Problems verstärkt.
Ich hab schon vieles gegen meine Probleme getan....Hat nichts gebracht und dann habe ich es aufgegeben.
Diesen Satz höre ich oft bei Menschen, die etwas nie ganz durchziehen, weil sie es nicht verstanden und die Hoffnung auf die Behandelnden gesetzt haben. Deswegen ist es so wichtig, Patienten aufzuklären und ihnen somit die Erleichterung zu ermöglichen was die Einhaltung und Verpflichtung zur Reha betrifft.
Das biopsychosoziale Modell der Aufklärung
Faktoren erkennen und Behandlung dadurch spezifisch präzisieren. Das biopsychsoziale Modell gilt heute als die effizienteste Behandlung bei chronischen Erkrankungen und Schmerzen. Man beachte, es gibt keine soliden Bewiese, dass psychosoziale Faktoren die klinischen Ergebnisse bei Tendinopathien beeinflussen, aber Beweise, dass es in der Behandlung anderer Erkrankungen des Bewegungsapparates hilft. Diese Form der Behandlung, oder nennen wir es Behandlungsergänzung, zeigt tatsächlich, der Grad der Selbstwirksamkeit eines Patienten kann ein stärkerer und zuverlässigerer Prädiktor für nicht-chirurgische Ergebnisse sein als die strukturellen Defekte, die bei der Bildgebung verschiedener medizinischer Tests vorhanden sind
Vielen Dank für deine Aufmerksamkeit!
Coach Oz
Quellen: Angst und Schmerz: Woo AK. Depression and anxiety in pain. Rev Pain 2010;4:8–12.
Selbstwirksamkeit: Martinez-Calderon J, Zamora-Campos C, Navarro-Ledesma S, et al. The role of self-efficacy on the prognosis of chronic musculoskeletal pain: a systematic review. J Pain 2018;19:10–34.
Psycholigischer Einfluss auf Rehabilitation: te Wierike SCM, van der Sluis A, van den Akker-Scheek I, et al. Psychosocial factors influencing the recovery of athletes with anterior cruciate ligament injury: a systematic review. Scand J Med Sci Sports 2013;23:527–40.
Selbstwirksamkeit: Caneiro JP, Roos EM, Barton CJ, et al. It is time to move beyond ‘body region silos’ to manage musculoskeletal pain: five actions to change clinical practice. Br J Sports Med 2020;54:438–9.
Neurochemie und Selbtwirksamkeit: Rondon-Ramos A, Martinez-Calderon J, Diaz-Cerrillo JL, et al. Pain neuroscience education plus usual care is more effective than usual care alone to improve self-efficacy beliefs in people with chronic musculoskeletal pain: a Non-Randomized controlled trial. J Clin Med 2020;9:2195.
Einstufung von Schmerz: Raja SN, Carr DB, Cohen M, et al. The revised international association for the study of pain definition of pain: concepts, challenges, and compromises. Pain 2020;161:1976–82.
Load Management bei Tendionapthie: Malliaras P, Cook J, Purdam C, et al. Patellar tendinopathy: clinical diagnosis, load management, and advice for challenging case presentations. J Orthop Sports Phys Ther 2015;45:887–98.
Patient das Verstehen beibringen: Littlewood C, Malliaras P, Bateman M, et al. The central nervous system–an additional consideration in ‘rotator cuff tendinopathy’ and a potential basis for understanding response to loaded therapeutic exercise. Man Ther 2013;18:468–72.
Patientenbeziehung & Kommunikation: Smith BE, Hendrick P, Bateman M, et al. Musculoskeletal pain and exercise-challenging existing paradigms and introducing new. J Sports Med 2019;53:907–12.
Aufklärung und Bildung: Fereidouni Z, Sabet Sarvestani R, Hariri G, et al. Moving into action: the master key to patient education. J Nurs Res 2019;27:1–8.
Abbruch der Behandlung: Sandford FM, Sanders TAB, Lewis JS. Exploring experiences, barriers, and enablers to home- and class-based exercise in rotator cuff tendinopathy: a qualitative study. J Hand Ther 2017;30:193–9.
Hinweiserkennung ohne chirurgischen Eingriff: Dunn WR, Schackman BR, Walsh C, et al. Variation in orthopaedic surgeons’ perceptions about the indications for rotator cuff surgery. J Bone Joint Surg Am 2005;87:1978–84.
Die Aussagekraft der psychologischen Faktoren und klinische Diagnose: Stubbs C, Mc Auliffe S, Mallows A, et al. The strength of association between psychological factors and clinical outcome in tendinopathy: a systematic review. PLoS One 2020;15:e0242568.
Comments